Die interessantesten Weinkellner unserer Zeit
00:00:00: Herzlich Willkommen zu Sommelier, die interessantesten Weinkenner unserer Zeit.
00:00:04: Das war tatsächlich eine unfassbare Verbindung in seinem eigenen Wohnzimmer zu sitzen im T-Shirt und das Gefühl zu haben, man ist gerade underdressed für den Moment.
00:00:14: Unser heutiger Gast ist aus dem Restaurant Timraue Berlin Raphael Reichardt.
00:00:19: Und das hat mich, das hat mich, so was beeindruckt mich, dieses fast schon pedantisch-perfektionistische und das war, das ist cool.
00:00:28: Und ich versuche immer eigentlich mindestens ein Highlight zu setzen, wo man sagt, oh, davon mache ich ein Foto und ich erinnere mich nächstes Jahr noch im Restaurant Timraue damals, weißt du, noch in der Begleitung, da hatten wir ja das oder das.
00:00:39: Natürlich sollte die Oberflächlichkeit an der Stelle nicht überwiegen und keinen Ausschlag geben, aber sie ist Anzeichen dafür häufig, ob ich das Gefühl habe, der Gast hat, weiß, wo er hingeht, weiß, worauf er sich gerade einlässt, weiß, was uns erwartet.
00:00:55: Und ich mag einfach, dass wir bereiten uns auf die Gäste vor und dann mag ich es auch, wenn ich das Gefühl habe, der Gast bereitet sich auch auf uns vor und das ist irgendwie, ich würde auch nicht zu Freunden nach Hause zur Dinnerparty gehen und sagen, ich komme heute im Schlafanzug.
00:01:09: Negroni besteht in der Theorie aus drei sehr einfachen Zutaten, aber wenn wir 100 Menschen den Negroni selbst mit den drei exakt selben Zutaten machen lassen, sind trotzdem wahrscheinlich nur fünf gut, weil einfach das Verhältnis dann im Zweifelsfall den Unterschied macht und das macht, glaube ich, den guten bis sehr guten Barmann aus im Unterschied zu jemanden, der einfach nur ein Rezeptbuch befolgt und sagt, aber hier steht doch 4 CL.
00:01:33: Coravon, der natürlich jetzt als Argument zählen kann, also das System mit einer Nadel den Korken zu durchstechen, Gas in die Flasche zu machen und den Wein rauszunehmen und den Wein bei geschlossener Flasche zu konservieren, das ist eine Möglichkeit, mit der viele andere Restaurants wir auch aber wenig arbeiten, um eben Sachen auszuschenken, wo man die Flasche vielleicht nicht ganz ausschenken möchte.
00:01:59: Da bin ich aber, ich mag dieses System nicht, weil ich finde, es sieht total unwürdig aus, wie das daraus tröpfelt und ich mag das Gefühl, den Korken zu ziehen, eine Flasche aufzumachen und einfach zu wissen, okay, wir trinken jetzt eine Flasche Wein und nicht, wir tröpfeln uns jetzt 100 ml in ein Glas.
00:02:17: Von daher habe ich relativ schnell dar gelernt, du musst gar nicht so viel machen, du musst nur eine gute Geschichte erzählen und das reicht für die meisten schon.
00:02:26: Und gerade auch etwas üppigere Rotwein-Stilistiken oder klassische Bordeaux oder so, die in den Halbflaschen, die machen halt jetzt schon viel, viel früher Spaß als in den ganzen oder sogar Doppelflaschen.
00:02:41: Weil ich immer davon geträumt habe, mit einem sehr teuren Anzug über die Gänge zu gleiten, das ganze Personal zu kennen und die Stammgäste begrüßen zu dürfen, das war toll, das war gut, weil ich dort frei arbeiten konnte.
00:02:55: Heute zu Tage würde ich das wahrscheinlich, wenn es ein Mitarbeiter von mir wäre, etwas anders betrachten von außen, für mich damals war es aber perfekt.
00:03:04: Der Gast möchte gerne zu einem Gericht, wo ich einen holzbetonten, üppigen, exotischen, fetten Sauvignon Blanc serviere, möchte der Gast von mir aber hören, dass ein zarter Weißburgunder aus dem 24. Jahrgang mindestens genauso eine gute Idee ist und dass ich ihn dazu beglückwünsche, dass er meine Weinbegleitung abändert, hinsichtlich dessen, dass er jetzt ein fein Weißburgunder hat und der eigentlich grandios zum Gang passt.
00:03:30: Und da habe ich teilweise ehrlicherweise ein kleines Ego-Problem, das ich zugeben muss.
00:03:35: Ich habe mir was dabei gedacht, es ist mein Job, ich mache den ganzen Tag nichts anderes.
00:03:40: Warum? Ich würde doch auch nicht in deinen Job kommen und in der Fahrradwerkstatt erklären, dass die Klingel aber auf der anderen Seite oder hinten an Sattel montiert werden muss, weil da ist sie viel praktischer.
00:03:50: 2011 auf Rügen sprechen wir nicht von einer Bar-Szene oder Bar-Affinen-Konesseuren wie heute in Berlin-Mitte, sondern wir sprechen von Menschen, die da Urlaub machen und die man in den meisten Fällen mit einer großen Ananas-Dekoration eher überzeugen konnte als mit einem perfekt gemixten, trockenen Drink.
00:04:12: Und ich gehe meinen ganzen Händlern und Winzern schon immer auf den Keks mit dem Wunsch, ich brauche mehr halbe Flaschen, damit wir diese Liste aufrechterhalten können und es gibt halt viele Winzer- und Anbaugebiete, die immer weniger Halbflaschen füllen, weil halt der Markt dafür nicht mehr so da ist.
00:04:30: Und deswegen bin ich da stetig auf der Suche danach, neue, neue Positionen zu finden, um die Liste immer schön lang und groß zu halten.
00:04:39: Und im Winter besteht der Ort halt nur noch aus Gastronomen, die sich Langweilen und Überstunden abbauen.
00:04:45: Jeden Tag allen Gästen ausschließlich Weinbegleitung servieren, wäre mir auch am Ende des Tages zu langweilig.
00:04:51: Ich liebe es auch mit Gästen, in dem Moment, aus der Vielzahl dessen, was da ist, das zu wählen, was in dem Moment für den Abend, für den Menschen ist.
00:05:03: für die Situation das Perfekte ist. Es war damals die beste Idee, auszuziehen,
00:05:05: alleine zu stehen und Rügen war auch schön, aber tatsächlich eine Zufallsgeburt.
00:05:10: Mich persönlich überraschen tatsächlich häufig Sachen, die wir hatten mal eine Phase,
00:05:16: da hatten wir 30 Jahre alten Weißenburg-Under, der irgendwie eigentlich nur zu uns kam,
00:05:22: damit die Palette voll ist und die Idee war, wir schütten es einfach weg, weil der Wein ist tot.
00:05:27: Und es waren 60 Flaschen vermeintlich oxidierter Mersault und wir haben gesagt, na gut, bevor wir
00:05:34: 60 Flaschen Mersault, die wir einfach da haben, wegschütten, dann können wir wenigstens mal eine
00:05:40: Spaßeshalber probieren und zur Not machen wir eine Soße draus. Und von den 60 Flaschen waren
00:05:44: 58 so geil, dass wir das Zeug einfach alles selber getrunken haben. Und wenn du Drinks anbietest,
00:05:50: dann musst du halt auch Drinks anbieten, die eine gleichbleibende Qualität haben. Und wenn
00:05:55: du dann sagst, na heute ist aber Stefan nicht da, deswegen gibt es nur schlechte Negronis. Das
00:05:59: funktioniert auf unserem Niveau dann halt auch nicht. Dass wir im Rahmen der Weinbegleitung,
00:06:04: die Gäste halt bevor oder in der Sekunde, wo sie es bestellen, darauf hinweisen, dass wir
00:06:08: eine Begleitung servieren, die aufs Essen eingeht und die von Gang zu Gang aufs Gericht eingeht und
00:06:15: dass wir uns eine gewisse Offenheit gegenüber Weinen und auch anderen alkoholischen Getränken
00:06:20: erbitten, weil sonst weder der Gast noch derjenige, der es serviert, Freude daran haben wird. Und
00:06:28: deswegen sind die Gäste entweder sehr, sehr offen und freuen sich darüber, dass sie mal die
00:06:34: Gelegenheit haben, sowas zu bekommen. Und der andere Teil sind Menschen, die sehr, sehr unerfahren
00:06:39: sind, die die Weinkarte in die Hand bekommen, die vielen Seiten sehen und sagen, oh Gott,
00:06:44: ich weiß gar nicht, was ich machen soll. Da können sie einfach aussuchen. Und dann geht es auf eine
00:06:49: Weinbegleitung hinaus und das sind häufig Menschen, die mit sowas noch nie Kontakt hatten und dann in
00:06:54: so einer Euphorie des Moments und in einer Begeisterungsfähigkeit sind, dass wir sie an die Hand
00:07:01: nehmen können und sagen, guck mal, sowas gibt es übrigens auch, sowas schmeckt so und so und wir
00:07:06: haben uns dabei das und das gedacht und du die Menschen damit begeisterst, weil sie einfach
00:07:11: noch nie Kontakt damit hatten. Ich habe 2009 angefangen zu lernen und hatte während meiner
00:07:17: Ausbildungszeit immer wieder Gäste aus den sogenannten alten Bundesländern, die mir gesagt haben,
00:07:22: na wir sind jetzt zum ersten Mal hier im Osten und na wir sind ja überrascht, hier ist es ja doch
00:07:27: schöner und die Leute sind wirklich netter als wir dachten und das war über 20 Jahre nach, nach
00:07:33: der Wende. Hab da das erste Mal lange vorm Wein gelernt, mich mit Getränken auseinander zu
00:07:40: setzen, Sensorik zu schulen und zu sehen, dass trinken und Alkoholen nicht nur für Kopfschmerzen
00:07:46: am nächsten Morgen gut ist. Das ist natürlich eine ausgesprochen gut gestellte, provokante
00:07:52: Frage an der Stelle und mir ist das Wort perfekt trinkreif natürlich nicht entgangen und es gibt
00:07:59: diesen kleinen oder manchmal auch größeren Schlag von Menschen, die von sich glauben, denken,
00:08:06: empfinden, sie wehren Weinkände und sie möchten gerne bei uns trotzdem oder das heißt trotzdem sie
00:08:13: möchten die Begleitung trinken, die aber nicht die Offenheit besitzen, das hinzunehmen, was wir
00:08:18: uns dabei gedacht haben, weil sie eigentlich davon ausgehen, die Weinbegleitung ist siebenmal ihr
00:08:23: Lieblingswein, nur mit einer lustigen Geschichte dazu erzählt. Und das komplette Gespräch findet
00:08:28: ihr ab morgen bei Sommli, die interessantesten Weinkenner unserer Zeit auf dieser Plattform oder
00:08:33: überall, wo es Podcast gibt. Wenn jemand zu uns ins Restaurant kommt, sagt er ja auch nicht, ich
00:08:38: hätte gern dreire Gänge von Tim Rauer, aber die anderen beiden würden wir gerne von McDonalds noch
00:08:43: haben. Diese Ausgabe Sommli, die interessantesten Weinkenner unserer Zeit, wird begleitet von
00:08:49: den Produzenten Alpville aus Südtirol, der Maison Joseph Droha aus dem Bugund und dem Wein
00:08:55: Gut Groß aus der Südsteiermarkt und natürlich von unserem Partner, der Schlumbeckergruppe.
00:08:59: Vielen lieben Dank dafür. Also wenn ich Herren sehe, die mit Frag und Fliege bei uns reinkommen
00:09:06: und lach schon, dann ist der erste Moment immer, oh der spielt heute Abend für seine Frau James Bond.
00:09:11: Aber dann siehst du den Leuten, dann denkst du dem zweiten Moment, das ist total geil, dass ihr euch
00:09:16: die Mühe gemacht habt und vielleicht ist das für euch heute die Date Night und ihr wollt
00:09:21: bewusst overdressed sein für einander und für den Moment und das ist total cool und das mag ich
00:09:25: total gerne. Und dann gibt es diesen anderen Schlagmensch, die standesgemäß so essen gehen,
00:09:31: die gerne auch klassische Michelin-Gäste sind mit über 70 Jahren, die natürlich mit Anzug und
00:09:37: Krawatte in so ein Restaurant gehen als Herr und die dann nach dem zweiten Gang merken eigentlich,
00:09:41: hier brauche ich das gar nicht. Und wenn dann der magische Momentkopf, wo nachgang 2 der Krawattenknoten
00:09:47: gelöst wird und der erste Knopf geht, so ein bisschen verschmitzt auf und nachgang 4 legt man
00:09:52: sogar frecherweise das Schakett ab. Das sind eigentlich die schönsten Momente, wenn du den
00:09:55: Leuten anmerkst, ihr fühlt euch hier gerade wohl und ihr entspannt euch.